Kleider machen den Chan: Wir durchbrechen die Vierte Wand
[letztes Update am 29. Mai 2024]
Haben Sie Vorurteile? Schon im alten Rom galt: Vestis virum reddit. Damals sollte man Wohlstand nicht durch entsprechende Kleidung vortäuschen. Im Verlauf von Jahrhunderten haben sich viele schlaue Menschen mit diesem Thema befasst. 1874 verarbeitete der Schweizer Lyriker Gottfried Keller diese doch recht menschliche Eigenschaft, auf Äußerlichkeiten zu achten und sie mit bekannten Mustern in Verbindung zu bringen, in seiner Novelle „Kleider machen Leute“.
Der moralisch-erhobene Zeigefinger „Never judge a book by ist cover“ hat bis heute Bestand, auch wenn Ausnahmen die Regeln bestätigen. Wer seinen Wohlstand definitiv nicht zur Schau stellt, ist Schauspieler und Filmemacher Jackie Chan. Privat hat er sein Lieblingsoutfit der 80er und 90er Jahre, Blue-Jeans, weißes Shirt und Sneaker, an den Nagel gehängt und trägt heute gerne bequeme Trainingsanzüge. Natürlich immer mit seinem eigenen Logo bestickt. Bei offiziellen Anlässen darf es dann mal ein traditioneller chinesischer Anzug sein.
Das Forbes-Magazin schätzte Jackie Chans Nettoeinkommen im Jahr 2015 auf ca. 350 Millionen US-Dollar und beruft sich auf Einnahmen aus seinen Filmen und diversen Firmen, die er besitzt.
Quelle: „Big Bucks For Big Brother: Why Jackie Chan Is The World’s Second-Highest Paid Actor”, 29. Juni 2015, Zack O’Malley Greenburg
Der Große Bruder änderte zwar seinen Stil, doch seiner Moral ist er bis heute treu geblieben. Aus Kleidung macht er sich nicht viel. Ironischerweise trägt er sein Logo dennoch auf fast jedem Kleidungsstück. Das hat allerdings etwas mit der Loyalität zu seinem Stuntteam zu tun. Als Gründer der Sing Ga Ban sorgt er seit Jahrzehnten für Aufträge und einen familiären Zusammenhalt, wie man ihn höchstens aus Bruderschaften oder dem Militär kennt – ohne den Kriegsaspekt. Klar, dass Mitglieder mit einem gewissen Stolz diesen Zusammenhalt nach außen tragen möchten. Und womit? Mit Recht!
Schon in den 1980ern war es ein Privileg, das offizielle Stuntteam-Shirt zu tragen. Die draufgängerischen Stuntmen aus Hongkong identifizierten sich sowohl am Set mit dem roten Drachenlogo auf dem weißen Shirt als auch privat. Die Marke Jackie Chan und Sing Ga Ban stand für höchste Qualität in der Hongkonger Actionfilm-Branche. Und weil die Team-Kleidung immer und überall getragen wurde, vergaß man auch mal bei einem hektischen Filmdreh, sich umzuziehen.
Die erste Stuntwoman im Jackie Chan Stuntteam, Yu Hao Er, stieß erst 1999 für SHANGHAI NOON (2000) dazu. Erst zwölf Jahre später kam mit Model und ehemaligem Taekwondo-Champion Zhoe Zhang Lan-Xin die zweite Frau ins Team. Seitdem ergänzten immer mehr weibliche Stuntperformer die Sing Ga Ban.
Siehe „Jackie Chans Stuntteam-Mitglieder von 1976 bis heute im Gesamtüberblick„, 21. September 2019, Thorsten Boose
„The Prisoner“
Laut Kevin Chu hatte Jackie Chan für den Dreh von ISLAND OF FIRE (1990) nur fünf Tage Zeit. Die Legende besagt, er machte den Film nur, um Jimmy Wang Yu eine offene Schuld zurückzuzahlen, genauso wie die anderen Hauptdarsteller des Films. Der Dreh muss stressig gewesen sein, denn in der Endszene am Flughafen wechselt Jackies Shirt von seinem eigenen Stuntteam-Shirt zu einem neutralen weißen.
„Action Hunter“
Ein kleines Upsi, das im damaligen Kino wohl kaum einem aufgefallen sein dürfte. Doch es war nicht das erste Mal, dass Jackie Chan die Vierte Wand durchbrach, ganz ohne Tritte und Schläge. In DRAGONS FOREVER (1988) will er sich bei seiner Freundin vor deren Wohnung entschuldigen und versperrt ihr den Weg. Ein kleiner Lupfer und unter der Jeansjacke taucht dasselbe Logo auf.
„Police Story“
Das ist allerdings nichts im Vergleich zu POLICE STORY (1985). Hier stehen gleich mehrere Trucks der JC Group im Hintergrund der Szene herum. Diese Trucks wurden von Jackies Firma zum Transport von Film- und Stuntequipment benutzt. Hier hat man es entweder versäumt, sie aus dem Sichtfeld zu fahren, oder bewusst platziert, damit nerdige Fans Fun Facts verbreiten können.
„The Inspector Wears Skirts“
Genau wie das Beispiel zu „Police Story“ ist auch dieses hier streng genommen keins, das sich auf die Kleidung bezieht. Und dennoch erwähne ich es gerne aus zwei Gründen:
- Selten sieht man Jackies eigene Filmkameras in seinen Filmen
- Die Meta-Ebene von „Top Squad“ wird in künftigen Projekten von mir eine wichtige Rolle spielen #JackieChanExtendedUniverse (#JCEU)
Zu Beginn des Films befinden wir uns an einem Filmset (der aufmerksame Fan erkennt es natürlich sofort). Als die Klappe fällt (Regisseur Wellson Chin spielt hier den Regisseur im Film), erhaschen wir einen Blick auf Filmausrüstung, darunter die damals typische Rollenabdeckung für Kameras von „JC Films“, einem anderen Namen für Golden Way Productions, Jackies Firma, die die ersten beiden „Top Squad“-Filme produzierte.
Diese Meta-Ebene werde ich in einem meiner nächsten Artikel (oder Bücher) ausführlich beschreiben, denn solche „Gastauftritte“ gibt es noch in anderen Filmen, die auf den ersten Blick erstmal nichts mit Jackie Chan zu tun haben. Beinahe dasselbe Konzept erleben wir mit Regisseur Chen Chi-Hwa in seinem Film „Little Kids Beat The Boss“ (1990), leider nie in Deutschland erschienen.
„Rouge“
Ach, wenn wir schon bei Jackies Filmkameras sind… die bekamen auch im preisgekrönten und international leider immer noch zu wenig anerkanntem Meisterwerk von Stanley Kwan, „Rouge“ von 1987, einen prominenten Gastauftritt.
Der Film wurde von Jackies Firma Golden Way Films für Golden Harvest produziert. Sein Stuntteam kümmerte sich um die Action. In den Hauptrollen sehen wir die tragischen Legenden Anita Mui und Leslie Cheung.
Gegen Ende des Films befinden wir uns an einem Filmset der 80er Jahre. Lau Kar-Wing spielt einen Regisseur, der gerade auf einem Kamerakran an der Filmkamera sitzt. Ein geschickter Schwenk und die Aufnahme zeigt zu einem Drittel die Stoffhülle der Akte.
Zufall? Sicher nicht. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Jackie schon Unsummen in Filmequipment gesteckt und sich gerade als Produzent an Dramen gewagt; er wollte international gesehen werden. Nicht so sehr von seinem gewohnten Publikum, aber er wollte den Respekt von Kollegen aus der Branche. Den bekam er mit mehreren verdienten Auszeichnungen.
„City Hunter“
Am 16. Mai 1992 eröffnete Jackies “JC Motor Sport”, eine Werkstatt zur Reparatur, Verleih und Aufbereitung von Autos, mitten in Sha Tin, Hongkong. Mitte April wurde dort sogar eingebrochen und eine Viertel Million HKD gestohlen. Auch wenn die DReharbeiten in Japan erst am 24. Juni 1992 begannen, so bin ich mir fast sicher, dass Jackies Werkstatt für die ein oder andere Szene herhalten musste.
In Ryo Saebas Werkstatt sehen wir an roten Werkzeugschränken das “JC Motor Sport”-Logo prangen. Absolut meta, dass für diese Szenen die Örtlichkeiten der echten Werkstatt genutzt wurden. Im Abspann wird der Firma mit “J.C. Motor” gedankt.
„Thunderbolt“
Man könnte meinen, dass Jackie und sein Team aus diesen „Fehlern“ gelernt haben. Nö. In THUNDERBOLT (1995) spin-kicken sie den Zuschauer quasi durch die Vierte Wand, wenn Jackies Chef des Rennstalls auf ihn zugeht. Dank der Zusammenarbeit mit Mitsubishi in den 80er Jahren wurde Jackie auch Werbeträger für deren Rallye-Marke Ralliart. Jackies Begeisterung für Autos ging sogar so weit, dass er später mit JC Motor Sport eine eigene Kfz-Werkstatt betrieb. Ein spezielles Design ziert im Film die Jacke des Chefs.
„Jackie Chan Ralliart | JC Motor Sport | Specially designed in the name of Jackie Chan”
„Mr. Nice Guy“
Meine Adleraugen haben dieselbe Jacke auch in einer Szene in MR. NICE GUY (1997) entdeckt! Wer genau hinsieht, erkennt sie, wenn auch außerhalb des Fokus, in ein paar Frames von links nach rechts durchs Bild gehen, kurz bevor zu einem Kafee trinkenden Jackie geschnitten wird.
„Kung Fu Yoga – Der goldene Arm der Götter“
Selbst im neuen Jahrtausend druckt Jackie Chan gerne sein Logo überall dort drauf, wo er selbst oder Fans es im Alltag auch benutzen würden. Ein weiteres Upsi passierte so im Film KUNG FU YOGA (2017). Kurz bevor Jackie zum Wooden Dummy Training auf den Balkon geht, kocht er eine Mahlzeit. Schaut euch die Schürze an.
„Bleeding Steel“
Und bei diesem Sci-i-Thriller treibt es Chan the Man echt auf die Spitze. Aus Sicherheitsgründen observiert er seine Tochter, die ihn nie kennenlernte, undercover als Kantinenmitarbeiter der Uni. Sein Namensschild zeigt seinen echten Namen: Jackie Chan. Witzig ist die Berufsbezeichnung Hausmeister. Denn an jedem Filmset ist es Jackie höchstpersönlich, der mit Besen und Recyclingtonne alles sauberhält.
„Marvel Studios: Assembled“
Was mich persönlich sehr freute, war die Tatsache, dass Andy Cheng am Set von SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS (2021) ein Jubiläumsshirt des Jackie Chan Stuntteams trug. Zu sehen im Making Of des Films („Marvel Studios: Assembled“). Andy Cheng verdient nicht nur seine Karriere dem Großen Bruder sondern auch sein Leben – Jackie zog ihn am Set von RUSH HOUR 2 (2001) aus dem Wasser, bevor er ertrinken konnte.
Sonstige Filme
Das Jackie Chan Stuntteam war in den 80ern und 90ern so gefragt, dass Mitglieder auch an Drittproduktionen verliehen wurden. In Hongkong kannte und half man sich gegenseitig aus. Regisseur und guter Freund von Jackie, Chen Chi-Hwa, sieht man zum Beispiel in den Outtakes zu KUNG FU KIDS 2 (1986) ein klassisches Stuntteam-Shirt tragen.
Und was sehen meine Augen im Making Of von DRAGON – THE BRUCE LEE STORY (1993), könnte das John Cheung Ng-Long, Bruder von Johnny Cheung Wa, welcher Mitglied der 3. Generation im Jackie Chan Stuntteam war, mit einem Kumpel aus dem Team sein?