Aufgeklärt: Jackie Chan ist nicht in „Come Drink With Me“ („Das Schwert der Gelben Tigerin“) von 1966 zu sehen
Die Filmliste in Jackie Chans Autobiographie „I am Jackie Chan: My Life in Action“ von 1998 ist bis heute die einzige offiziell bestätigte Liste von Filmen, an denen Jackie Chan vor und hinter der Kamera mitgearbeitet hat (vereinzelt werden bei IMDb.com zeitgenössische Filmeinträge gepflegt). Die Filmliste auf seiner Website www.jackiechan.com enthält weitaus weniger Informationen. Dass also Fehlinformationen in dieser Liste enthalten sein sollen, fällt schwer zu glauben, leider ist es aber wahr.
In diesem Artikel werde ich zusammenfassend belegen, dass Jackie Chan nicht im King-Hu-Klassiker „Come Drink With Me“ (1966, dt. Titel: „Das Schwert der gelben Tigerin“) zu sehen ist und aufklären, wie es zu diesem Missverständnis kam und wieso sich das Gerücht bis heute so hartnäckig hält.
Jackie Chan und „Come Drink With Me“ feiern gleichzeitig Geburtstag
Der beliebte Wuxia-Film von Kultregisseur King Hu zeigt eine sehr junge Cheng Pei-pei als taffe Hauptdarstellerin, die sich ihren Weg als Mann verkleidet durch ihre Gegnerschaft bahnt, um ihren Bruder aus der Gefangenschaft zu retten. Premiere in Hongkong feierte der Film am 7. April 1966. Am selben Tag erlebte Jackie Chan seinen zwölften Geburtstag. Mehr haben die beiden Protagonisten dieses Berichts nicht gemeinsam.
Im Westen wurde die sympathische Cheng Pei-pei erst durch ihre Rolle des Jadefuchs in „Tiger and Dragon“ (2000) von Ang Lee für die Masse ein bekannter Name. Mit Ausklang der 90er Jahre fand der Einfluss des Hongkong-Actionkinos immer mehr in Hollywood Fuß. Dies regte das Interesse von Fans und Filmkritikern an, über die alte Zeit im fernen Osten zu recherchieren. Experten wie Ric Meyers und Bey Logan nahmen sich des Themas an.
Bey Logan interviewt die Schauspieler
Zur Veröffentlichung der Hongkong-DVD von „Come Drink With Me“ im Dezember 2002 produzierte Bey Logan für den Verleiher Celestial Pictures einen Audiokommentar auf Englisch. Begleitet wurde er dabei im Studio von Cheng Pei-pei und ihrer Tochter Marsha Yuen.
Bey Logan, geboren am 15. November 1961 in Stamford, Großbritannien, ist Filmkritiker, Filmemacher und Schauspieler und arbeitet seit den 80er Jahren eng mit den Größen des Hongkong-Kinos zusammen und hat demnach Insider-Wissen, das er gerne in Dokumentationen teilt. Seine Kontakte führten 1999 zum namensgebenden DVD-Label „Hong Kong Legends“, das über 100 Filme des Hongkong-Kinos für den englischsprachigen Westen zugänglich machte. Diese Pionierarbeit ist auch die Basis für die von Splendid Film in Deutschland veröffentlichte Dragon Edition, die beliebte Jackie-Chan-Filme auf Blu-ray mit Bonusmaterial ausstattet.
Im Audiokommentar besagter DVD lenkt Bey Logan in Minute 28:45 das Gespräch in die für uns relevante Richtung. Hier der von mir übersetzte Wortlaut:
BEY LOGAN: Ich hab versucht zu erkennen, wer von den Jungs wer ist. Man sagte mir, Jackie sei in dem Film, aber ich kann ihn nicht sehen.
CHENG PEI-PEI: Nein, nein, nein. Jackie ist nicht dabei.
BEY LOGAN: Er war älter als die [Jungs hier].
CHENG PEI-PEI: Er war jünger [als diese Jungs].
BEY LOGAN: Oh, du meinst, er war zu jung für den Film?
CHENG PEI-PEI: Nein… Jackie, also… Zu der Zeit gab es zwei verschiedene Gruppen. Diese Gruppe gehörte zu Tang Di.
Kurze Unterbrechung, weil Mars im Bild ist und Bey Logan berichtet, wie er zu dem Namen Mars gekommen ist.
BEY LOGAN: Wovon du gerade gesprochen hast, die Gruppe Chat Siu Fuk [Seven Little Fortunes] stand also unter Meister Yu Jim-yuens Aufsicht. Und dann gab es noch Madame Fan Fok-Fa, die du ja in „Painted Faces“ gespielt hast. Also, das hier ist Madame Fan Fok-Fas Gruppe.
CHENG PEI-PEI: Nein, nein, nein, das ist eine andere.
BEY LOGAN: Oh, eine ganz andere?
CHENG PEI-PEI: Genau, die führte Tang Di.
BEY LOGAN: Ah, Tang Ji, der als Schüler die Pekingoper bei Yuen Siu-tien gelernt hat und dessen Operntruppe das hier…
CHENG PEI-PEI: Tang Di.
BEY LOGAN: Ah, Tang Di! Nicht Tang Chia [kantonesischer Name des Schauspielers Tang Ji], also jemand anderes.
CHENG PEI-PEI: Ja, genau.
Verwirrend, was? Eine kleine Retrospektive zu den Hongkonger Pekingoper-Schulen gibt Aufschlüsse, wer gemeint ist.
Die Hongkonger Schulen der Pekingoper
Die Pekingoper ist eine klassische Bühnenkunstform aus China, die Schauspiel, Gesang, Musik und Akrobatik in mystischen chinesischen Geschichten anhand aufwändiger Gesichtsbemalung und Kostümen erzählt. In Hongkong gab es in den 50er und 60er Jahren zwei große Schulen, die diese aussterbende Kunstform lehrten. Diese Schulen sprach Cheng Pei-pei in ihrem Kommentar kurz an.
Die China Drama Academy
Meister Yu Jim-yuen lehrte seine Schüler vorrangig den nördlichen Kung-Fu-Stil. Auftritte gaben sie im nahegelegenen Lai Chi Kok Freizeitpark, in Kowloon. Seine berühmtesten Schüler waren Sammo Hung, Jackie Chan, Yuen Biao, Corey Yuen, Yuen Wah, Yuen Tak, Yuen Mo und viele mehr.
Besonders talentierte Schüler durften sich Mitglied der Gruppe Seven Little Fortunes nennen (Chat Siu Fuk), die im Freizeitpark beworben und öfter auch für Filmarbeiten ausgeliehen wurden. Die Mitglieder der Gruppe wechselten also von Zeit zu Zeit.
Die Spring and Autumn Drama School
Madame Fan Fok-Fa, Chinas erste Martial-Arts-Schauspielerin, leitete die Schule. Die „Frühling und Herbst“-Schule galt als Rivalin der China Drama Academy von Yu Jim-yuen. Auch Madame Fan Fok-Fa pflegte Kontakte zur Filmbranche und verlieh einige ihrer Schüler an Produktionsfirmen. Die berühmtesten von ihnen sind Lam Ching-ying, Chin Kar-lok, Chan Lung, Chung Fat, Mars, Meng Hoi, Fung Hak-on und viele mehr.
Mars und Fung Hak-on wurden später Teil der Sing Ga Ban, Jackie Chans berühmtes Stuntteam, das gerade 40-jähriges Bestehen feierte. Chin Kar-lok ging zur Hung Ga Ban, dem Stuntteam von Sammo Hung.
Beide Schulen sahen sich gezwungen, ihre Schüler immer öfter an Filmproduktionsfirmen gegen Entlohnung auszuleihen. Denn die Besucherzahlen der klassischen Pekingoper gingen rapide zurück. Die Kunstform war einfach nicht mehr zeitgemäß. So wurde im Laufe der folgenden Jahre aus ehemaligen rivalisierenden Schülern eine Gruppe eingefleischter Artisten, die allesamt die Grundlage für ein neues Hongkong-Action-Kino schafften. Ihre Wege sollten sich über Jahrzehnte kreuzen.
Fotostrecke: unbekannter Junge mit Jackie Chan verwechselt
Wem die Aussage von Cheng Pei-pei und Bey Logan nicht Beleg genug ist, dass Jackie Chan keinen Auftritt in „Come Drink With Me“ hatte, der sollte sich den Film einfach mal genauer ansehen. Die folgenden Fotovergleiche helfen dabei.
Viele Quellen zeichnen die unten markierten Jungen als Jackie Chan aus.
Bereits auf den ersten Blick sollte man garvierende Unterschiede in der Physik der abgebildeten Person erkennen.
Dies ist nun Jackie Chan im Film „The Eighteen Darts (Part I)“, der zur selben Zeit wie „Come Drink With Me“ (1966) erschienen ist.
Das einzige, was beide Personen gemeinsam haben, ist die typische Frisur eines hochgesteckten Zopfes. Vergleichen wir nun beide Aufnahmen direkt nebeneinander, werden Unterschiede klar. Zur Verdeutlichung habe ich den beiden Fotos noch eines aus dem Film „The Story of Qin Xiang-Lian“ aus dem Jahr 1964 vorangestellt.
Auch wenn die Qualität der alten Filme nicht die beste ist – die Perspektive wurde bestmöglich angenähert -, wir erkennen folgendes:
- Jackie Chan hat ein eher schmales Gesicht > der unbekannte Junge eher rund und größer
- Jackie Chans Kopf ist rund geformt, hat einen ausladenden Hinterkopf > die markierten Personen weisen alle einen flacheren Hinterkopf auf
- Jackie Chans Nase ist breit, vor allem an den Nasenflügeln, sein Markenzeichen > die Nase des unbekannten Jungen wirkt im Vergleich zu seinem runden Gesicht klein und niedlich
- Jackie Chans Ohrenform ist deutlich erkennbar, ihre Längsachse verläuft deutlich flacher als bei dem markierten Jungen, dessen Ohren nicht nur größer sind, sondern auch weniger spitz zulaufen
- Jackie Chans Augen- und Augenbrauenpartie ist markanter
- Der Hautton ist bei den alten Aufnahmen kaum zu vergleichen, allerdings verläuft der Haaransatz verschieden
Bisher keine Aussage von Jackie Chan
Leider wird Jackie Chan über seine alten Filme nicht (mehr) ausgefragt. Es gab vor Jahren sogar Anweisungen seiner Berater, dass in Interviews nur über aktuelle Themen gesprochen werden darf. Eine Folge davon war auch die Kürzung der offiziellen Filmographie auf seiner Website; die Kinderrollen und viele andere Produktionen finden dort keinen Platz mehr.
Fans haben aber noch Hoffnung: 2018 soll es eine neue, offiziell von Jackie Chan produzierte Dokumentation über sein Leben und Schaffen der vergangenen vier Jahrzehnte geben. „Jackie Chan: Down to Earth“ lautet der Titel des Films und lässt vermuten, dass es nicht um den Star geht, sondern eher um den bescheidenen Jungen und aufstrebenden Mann, der sich in der Welt behaupten muss.
Woher stammt also das hartnäckige Gerücht?
Eine berechtigte Frage, die auf den Ausgangspunkt zurückführt: Jackies Autobiographie. In einer turbulenten Zeit muss sich Jackie Chan an dutzende Filme erinnern, in denen er nur einen kleinen Part hatte. Hier ist nicht die Rede von Stuntarbeit, Schauspiel oder gar Produktion. Wir reden hier von ein paar Sekunden oder wenigen Minuten Leinwandpräsenz, die an einem Tag abgedreht werden konnte. Zu dieser Zeit war Jackie Chan „hauptberuflich“ immer noch Schüler an der China Drama Academy.
Meiner Meinung nach handelt es sich hier einfach nur um eine klassische Verwechslung. Denn Jackie Chan hat wirklich in einem Film mit Cheng Pei-pei aus dieser Epoche mitgespielt. Der Film heißt „Lady of Steel“ (1970). Seine Premiere feierte er in Hongkong am 27. Februar, die Dreharbeiten fanden noch im alten Jahrzehnt, 1969, statt. Damals war Jackie Chan gerade einmal 15 Jahre alt und, es sei daran erinnert, immer noch Schüler an der China Drama Academy.
Was sind also schon vier Jahre Unterschied in einer Filmkarriere, die zum Zeitpunkt der Recherche, nämlich 1998, schon über 30 Jahre und über 100 Filme andauerte? Irren ist menschlich, und auch wenn Jackie Chans Produktivität gerne dagegensprechen mag, auch er ist ein Mensch und macht Fehler. Nicht zu vergessen, dass Jeff Yang, der Ko-Autor der Autobiographie, auch für die Recherche verantwortlich war.
„Lady of Steel“ wurde erst Jahre nach der Veröffentlichung der Autobiographie im Jahr 2007 neu entdeckt und auf DVD und SVCD von Celestial Pictures veröffentlicht. Zuvor gab es nur eine taiwanesische Videokassette aus den 90ern im Vollbild.
Und jetzt darf geraten werden, wie dort die Szene mit Jackie Chan aussah! Er ist jeweils im rechten Bildabschnitt zu sehen – oder auch nicht.
Diese Szene dauert wenige Sekunden, die Schnitte sind relativ schnell gesetzt. Ein abgeschnittenes Bild in hektischer Bewegung in mieser VHS-Qualität trägt schnell dazu bei, dass man Jackie Chan hier nicht sofort erkennt.
Verleiher müssen mehr Eigeninitiative zeigen!
Die Verleiher verkaufen ihre Produkte besser, wenn JACKIE CHAN drauf steht. Diese Masche gibt es weltweit seit Anfang der 80er Jahre, was Chan-Produkte und -Filme angeht. Ob dies bewusst oder unwissend so getan wurde und wird, sei dahingestellt; ich unterstelle hier ganz bewusst nichts. Jedenfalls werden zu oft Quellen nicht hinterfragt, und so gelangen Fehlinformationen rund um den Globus und nisten sich in eine Filmographie ein.
Informationen müssen bis zur Quelle zurückverfolgt und dort hinterfragt werden. Wikipedia ist keine Quelle. Selbst IMDb.com darf meiner Meinung nach nur begrenzt als Quelle für Informationen rund um Filme dienen, denn wirklich pflegeleicht ist das System nicht. Hier sind die Profis gefragt. Mike Leeder, Ric Meyers und Bey Logan, die Verleiher selbst, die die Kontakte haben. Macht mehr aus den geliebten Fan-Projekten, das Potenzial und Wissen ist da!
Fazit
In diesem Artikel ging es mir nicht darum, einen Jackie Chan bloßzustellen oder Fans eine Illusion zu rauben. Ganz im Gegenteil. Es geht mir wie meinen Vorgängern und Kollegen Mike Leeder, Ric Meyers und Bey Logan um Aufklärung und wichtige Hintergrundinformationen.
Es ist überhaupt keine Tragödie, dass Jackie Chan nicht in „Come Drink With Me“ zu sehen ist. Denn dort sehen wir immerhin einen ganz jungen Mars, der uns in Jackies Karriere viele tolle Stunden bescherte. Zudem ist Jackies Auftritt in „Lady of Steel“ sehenswert. Die deutschen Verleiher sollten sich endlich auch an diesen Film wagen!
Ein Klassiker mag zwar nach Jahren aus Jackie Chans Filmographie gestrichen worden sein, doch ein anderer Klassiker wurde hinzugefügt. Ein fairer Tausch. Oder nicht?
[…] „Come Drink With Me“ („Das Schwert der Gelben Tigerin“) von 1966 zu sehen“ beschrieben (hier klicken). An dieser Stelle sei deshalb nur erwähnt, dass diese Akrobatikgruppe aus Hongkong die […]
[…] With Me“ („Das Schwert der Gelben Tigerin“) von 1966 zu sehen“ beschrieben (hier klicken). An dieser Stelle sei deshalb nur erwähnt, dass diese Akrobatikgruppe aus Hongkong die […]
[…] und Tanz auf der Tagesordnung standen. Darüber habe ich ausführlich in meinem Artikel „Aufgeklärt: Jackie Chan ist nicht in „Come Drink With Me“ („Das Schwert der Gelben Tigerin“…“ […]
[…] Of Steel“ (1970), ebenfalls mit Cheng Pei-Pei und ebenfalls von Shaw Bros. Der Bericht kann hier nachgelesen […]